NEUE VERSCHLÜSSELUNG
Premiere plant Abschied von den Schwarzsehern
Schon im Herbst, hofft Premiere-Chef Georg Kofler, könnte sein Pay-TV-Sender endlich rund 30 Prozent seiner Zuschauer verlieren - so groß ist Schätzungen zufolge die Quote der Schwarzseher. Abhilfe soll eine neue Verschlüsselungstechnik bringen.
DDP
Georg Koflers Rettungskonzept, nächster Teil: Nach Personal raus und Kosten runter kommt nun der Rausschmiss der Schwarzseher - wenn das klappt
Wem es nicht reicht, Michael Schumacher aus nur einer Kameraperspektive beim Siegen zuzusehen, wer Filme oder Dokus mag und eine akute Allergie gegen die - Zitat: Pink Floyd - "thirty channels of shit to choose from" pflegt, der mag sich dafür entscheiden, zum Pay-TV zu wechseln. Den Zugang gibt es per Decoder, den man überall kaufen kann, und mit der dazugehörigen Smartcard, die das Abo freischaltet.
Das ist dann im besten aller Fälle bezahlt, ziemlich oft aber nicht im Elektronikfachhandel, sondern am Bahnhof: Dort und an vielen anderen Orten verticken fleißige Dealer seit Jahren schon extrem kostengünstige Premiere-Zugänge. Das hat Vor- und Nachteile: Auf der positiven Seite verbucht Premiere so schon seit langem Zuschauerzahlen, die sonst niemand geglaubt hätte, auf der negativen Seite aber verdient der Sender an diesen Kunden gar nichts.
Und das ist nicht gut für ein Start-up, das als Dauer-Rohrkrepierer und Kirch-Imperiumskiller gilt: Im Jahr 2001 produzierte Premiere 743 Millionen Euro Umsatz - bei 1,58 Milliarden Euro Kosten. Da fehlte selbst das Geld zur täglich attraktiven Bestückung des Programms der zahlreichen Digital-Kanäle, denen folglich Zuschauer davonliefen.
Premiere mehrte sein Minus täglich um satte 2,4 Millionen Euro, als im Frühjahr 2002 der ehemalige Pro7-Chef Georg Kofler als Retter auf den fahrenden Zug gen Nirgendwo aufsprang. Seitdem hat er einiges bewegt: Mit Schnäppchenangeboten, einem striktem Sparkurs und konsequenter Programmpolitik liegt Premiere vielleicht erstmals in seiner Geschichte wirklich im Aufwärts-Trend.
Immerhin 2,6 Millionen Leute sähen heute gegen Zahlung zu, sagt Premiere, und da sei es Zeit, sich von der einen Million Schmarotzer zu trennen, die Premiere selbst als Schwarzseher-Quote angibt. Andere Schätzungen gehen von bis zu 1,5 Millionen Schwarzsehern und mehr aus.
Trennung vom alten System macht gehackte Karten nutzlos
Denen will der Pay-TV-Sender jedenfalls mit einem neuen Verschlüsselungssystem der Schweizer Softwarefirma Kudelski den kostenlosen Spaß verderben.
IN SPIEGEL ONLINE
· Digitalfernsehen: Premiere für Schwarzseher (12.02.2003)
· Premiere "preiswert": Don't pay TV? [€] (17.09.2001)
"Wir werden in Zukunft denjenigen, die uns beklauen, noch kräftiger auf die Finger hauen. Ab Herbst wird bei den Schwarzsehern der Bildschirm wirklich schwarz", verspricht Premiere-Chef Georg Kofler.
Premiere entschied sich nach wochenlangen Verhandlungen mit fünf verschiedenen Anbietern für die Verschlüsselungssoftware "Nagravision" von Kudelski und damit gegen das Produkt der früheren Schwesterfirma BetaResearch, die das bisherige System geliefert hatte. Diese "betacrypt1"-Software wurde schon bald nach ihrer Veröffentlichung geknackt. Alle Versuche von Premiere, beispielswseise durch sich regelmäßig ändernde Zugangscodes mehr Sicherheit zu erlangen, blieben fruchtlos.
"Durch die Schwarzseher", sagt Kofler, "entstehen Premiere Umsatzausfälle von mindestens hundert Millionen Euro pro Jahr". Der Sender hofft, zahlreiche der Schwarzseher zu zahlenden Kunden machen zu können.
Premiere blickt auf eine wechselvolle Geschichte zurück. Ursprünglich ein Bertelsmann-Unternehmen in Konkurrenz zu Leo Kirchs DF1, gelangte der Sender 1999 in die Hände des Münchner Medien-Magnaten, weil Bertelsmann des Pay-TV-Abenteuers überdrüssig war, und Kirch es sich nicht leisten konnte, sein DF1-Geldgrab zuzuschütten. Er übernahm Premiere gegen Zahlung von rund 800 Millionen Euro und ließ seine eigenen, höchst unpopulären Pay-Sender darin aufgehen. Doch die Löcher in Kirchs Taschen erwiesen sich als zu groß, und Premiere tat sein übriges, sie noch zu erweitern: Das Medienimperium des Leo Kirch ging 2002 spektakulär unter. Seitdem herrscht freudiges Hick-Hack um die Erbmasse.
Premiere war im Februar von der Investmentgesellschaft Permira übernommen worden, die die frühere Tochter der Kirch-Gruppe bis zum Erreichen der Gewinnschwelle finanzieren will. Sanierer Georg Kofler erwartet schwarze Zahlen für das erste Quartal 2004.